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Alles easy? Von wegen: Der steinige Weg zur Tiefenentspannung! : )

Wie oft habe ich wohl schon auf die Wichtigkeit von Ruhe und Entspannung hingewiesen? Mehrfach! Genau.
Und wie oft habe ich Fingerpointing betrieben bezogen auf den Hundesport und die häufig sehr ehrgeizigen Menschen, die mehrfach die Woche mit ihren Hunden stundenlang trainieren und immer noch mehr machen, weil ihre Hunde scheinbar gar nicht mehr müde werden? Auch mehrfach.

Soweit die schnöde Theorie, Freunde der Fußreflexzonenmassagen, kommen wir zur entlarvenden Praxis und fangen wir damit an, zur Abwechslung mal wieder mit dem Finger auf uns selber zu pointen, statt auf andere - auch wenn das deutlich weniger Spaß macht. Grumpf.

Schlafen kann ich auch noch, wenn ich tot bin! : )
Seit es mich gibt, war ich weit entfernt davon, einer dieser höchst suspekten Schnarchbacken zu sein, die tiefenentspannt durch die Welt dackeln. Ich bin ein Zappelphilip. In meiner Welt gibt es einfach zu viele Reize, die mich reizen. Während viele dieser Reize anderen Hunden komplett am Arsch vorbeigehen, nehme ich sie mindestens mal sichtbar wahr. Und reagiere. Im besten Fall ein Ohrenzucken, im schlimmsten Fall, na ja, was auch immer : )
Das nennt man dann wohl reaktiv. Ich bin immer in Habachtstellung. Jedes Geräusch, jedes bewegte oder unbewegte Objekt - ich sehe alles! Ich merke alles! Und bin gewappnet für alle Eventualitäten...

Wenn man mit so einem wie mir zusammenlebt, kennt man es nicht anders, und denkt, der ist halt so. Das ist seine Natur, Portugiesische Wasserhunde sind "lebhaft", und man lernt damit umzugehen. Nach bestem Wissen und Gewissen.

Dennoch. Als ich klein war, haben wir sicherlich viel zu viel gemacht. Zu schnell zu lange spazieren gegangen, zu viel gejoggt, zu viel Programm, zu viele verschiedene Menschen, zu viel wach - einfach ein bisschen zu viel von allem.
Dies mag - neben meinen aufgeregten genetischen Voraussetzungen - die Grundsteinlegung dafür gewesen sein, dass ich lange Zeit einfach echt schlecht im Herunterkommen war. Alles poppen, was rumlag oder -stand (das wurde nach der Kastration besser), nicht zur Ruhe kommen, mindestens 30 Minuten abends Hin- und Herlaufen, bis ich mich Hinlegen konnte, schnelles Aufschrecken und - sich viel und ausgiebig Kratzen und Schlecken.

Paaaaartyyyyyy! : )
Dass all dies mit Stress zu tun haben könnte, war uns damals nicht bewusst. Im Gegenteil: Da ging es hauptsächlich um die Frage: Hab ich den jetzt ausgelastet oder braucht der mehr? Schließlich ist der, gemäß Handbuch, "lebhaft". Wenn ich einen Tag mal weniger gemacht habe, hatte Fraule gleich ein schlechtes Gewissen und dachte an Vernachlässigung und Unterforderung.

Wenn die Hundeschule damals riet, nicht zu viel zu machen, dann hielt sich Fraule ganz preußisch daran - plus, ganz rheinländisch, eben noch ein ganz kleines bisschen was oben drauf. Schließlich war ja der allgemeine Eindruck: Der braucht das, der kann das ab, der ist robust. Und wenn die Hundeschule von Entspannung sprach, nun ja, da dachte Fraule, klar, jeder andere, aber nicht mein Hund. Der ist doch entspannt!
Das war noch bevor ich anfing, Menschen in Hosenbeine zu zwicken : )

Ihr merkt was: Entscheidend an dem ganzen Galama ist etwas ganz anderes: Fraules Kopp! Die gehört nämlich zu den Leistungsorientierten, die selber immer irgendwie beschäftigt sein müssen, die selten nix tun und wenn ja, dann nur behaftet mit einem hochgradig schlechtem Gewissen und der Latte an Aufgaben im Kopf, die eigentlich noch erledigt werden müssten.
Und dieser Maßstab wird im gewissen Sinne auch auf alle Mitmenschen, aber auch auf scheinbar robuste Killerrüden übertragen. "Das ist mir jetzt zu viel!" oder "Ich kann nicht mehr!" wird nur dann akzeptiert, wenn dies durch anschließendes Inohnmachtfallen unter Beweis gestellt wird oder der Killerrüde sich vor lauter Burn-Out freiwillig einen kompletten Tag lang keinen Zentimeter mehr aus dem Körble wegbewegt.

Schande auf ihr Haupt!!!

Doch seitdem und mit zunehmendem Interesse am Thema und wachsendem Bildungsstand, haben sich in Fraules Hirn in den letzten Jahren so viele neue Gehirnzellen entwickelt, dass plötzlich viel mehr Raum zum Umdenken da ist.
Sie fing an, Zusammenhänge (am eigenen Hund) zu erkennen, besser zu interpretieren, zu beobachten und ihre Messlatte zu überdenken. Moderat zunächst, aber immerhin. Und so fingen wir vor eineinhalb Jahren an, Entspannungsübungen in mein Leben einzubauen und generell nicht mehr ganz so viel zu machen. Seit meinem Burn-Out Anfang des Jahres - ein sehr lehrreiches Ereignis! - entwickelten wir uns weiter:

Ich werde viel mehr zum Schlafen verdonnert, was ich, nach einiger Zeit es Erlernens, sehr gerne annahm. Mittlerweile bin ich ein Hund, der tatsächlich mindestens 18 Stunden des Tages verpennt. Ich gehe nicht mehr joggen oder nur noch ganz selten und niemals länger als eine knappe Stunde. Wir meiden viele Menschen und Städte sowieso. Wir achten auf Routinen und Rituale, und Kopftraining machen wir nur alle Nas' lang und nie länger als ein paar Minuten.
Über Monate war ich nicht mal mehr in einem Hundeschulkurs - das war aber mehr Zufall.

Und siehe da, schaut man über die vielen letzten Monate hinweg, habe ich mich durchaus verändert: Ich wurde zusehends relaxter. Ich fing ganz unauffällig an, mich nicht mehr über alles und jeden aufzuregen, konnte bestimmte Geräusche zumindest unkommentiert lassen, rannte nicht mehr so viel nervös herum bzw. konnte über Entspannungsübungen schneller heruntergeholt werden, und schlief schneller ein - es machte den Anschein, als sei mein Grunderregungslevel ein stückweit gesunken.

Aber weiß man das sicher? Natürlich nicht! Zunmal die Veränderung schleichend eintritt und man erst eine Weile braucht, gewisse Fortschritte zu erkennen. Und selbst dann gibt's immer noch genügend Spielraum für andere Interpretationen. So einfach, wie sich das Thema in der Theorie anhört, ist die Praxis nämlich nicht.

 
So. Und seit ein paar Monaten - auch eher Zufall - gehe ich nicht mehr in meine Hundeoase. Grumpf. Ihr erinnert euch, seit ich 6 Monate alt war, durfte ich dort zwei Nachmittage die Woche die Sau 'rauslassen.
Mit dem Effekt, der nun ganz deutlich erkennbar ist: Ich kratze mich nicht mehr! Und glaubt mir, ich habe mich VIEL gekratzt. Schon immer. Jeden Tag. Fraule hat alles ausprobiert, um herauzufinden, woran das liegen könnte. Ohne Erfolg. Bis sie dachte, na gut, der hat halt 'n Spleen. Und nun scheint das Thema mit einem Schlag erledigt.
Aber auch das hat sich erst über die letzten Monate langsam so entwickelt. 

Seitdem gehe ich abends mit meinen Menschen schlafen, ohne nochmal mit der Wimper zu zucken. Ich latsche nach oben, lege mich schnurstracks ab und schlafe ein. Kein Rumlaufen, kein Kratzen, kein Rauf- und Runterspringen vom Bett - nix!
Seitdem schlafe ich tagsüber noch mehr.
Seitdem bin ich draußen viel entspannter, ansprechbarer und sehr viel schneller umorientierbar.
Seitdem interessieren mich anderer Leute Hosenbeine nicht mehr.
Seitdem scharre ich nicht mehr auf dem Fußboden oder poppe Kissen.
Seitdem geht es mir besser, ohne zu wissen, dass es mir voher "schlechter" ging!

Leute, keine Panik! Ich gehöre immer noch nicht zu den Weicheiern, die sich im Park völlig gechillt im Gras hin- und herwälzen. Niemals!
Wenn ich mich freiwillig hinlege und maximal sogar den Kopf ablege, dann ist das das Höchste der Gefühle, was geht. Mehr ist nicht drin. Aber das ist bereits in etwa 400% mehr als das, was vorher je möglich war.

So. Und die Moral von der Geschicht: Bohr in der Nase nicht, hehe. Spaaaaß!
Nee, also:

Erkenntnis Nr. 1: Auch, wenn man es theoretisch weiß, hilft manchmal einfach nur Try & Error, um zu lernen.
Erkenntnis Nr. 2: Irgendwann kommt die Einsicht: Dass warnende Stimmen nicht übertrieben haben. Dass Sensibilität ein weit gefasstes Feld ist. Dass der eigene Ehrgeiz einem im Weg stehen kann.
Erkenntnis Nr. 3: Stress wirkt langfristig und baut sich daher auch nur langsam ab! Manchmal erkennt man erste Erfolge erst nach Monaten!
Erkenntnis Nr. 4: Schmeiß die scheiß Messlatte weg!

Oh, und eine Erkenntnis hätte ich fast vergessen: Ich werde niemals ein Therapiehund werden!

 : )

Kommentare

  1. Ja, absolut. Dasselbe hört man immer wieder von Border Collies, denen soviel geboten wurde, "weil sie ja Arbeitshunde sind und immer, den ganzen Tag lang, eine Aufgabe brauchen", aber die dann total überschnappen und fast verrückt werden. Eine kleine Aufgabe reicht schon. Wenn man sie in Wales oder Irland sieht, liegen sie auch die meiste Zeit herum; die Schafe werden ja nicht jeden Tag 12 Stunden lang von einem Berg zum anderen gebracht ... :)

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  2. ich bin ziemlich froh darueber dass wir den "Umweg" ueber die "Auslastung" gerade noch so vermieden haben weil ich zugegebenermaßen etwas faul bin. Der Hund bekommt ohne Zweifel was er braucht aber wesentlich weniger und anders wie es in den Büchern steht. Ein Glück für alle Beteiligten.

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  3. Sehr schöner Blogeintrag:) Hat mir gut gefallen! Und die Bilder der Rennsemmel auch:)

    LG

    Anne und co

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